Die Macht der ambivalenten Gefühle und das Kokettieren mit den Dingen

von Peter Gorsen

Zenita Komad in ihren Bricolagen

I. Das Bild vom Körper in der nachauratischen Gegenwartskunst hat sich mit der Prozessualität, Verzeitlichung und Vernetzung, der Tendenz zum Mobilen, Immateriellen und Transitorischen in den neuen Medien, völlig verändert. Eine neue „Ästhetik des Verschwindens“ wurde prognostiziert. Alles spiele „sich von nun an in der Weise des Verschwindens nicht nur des Bildes (Cinematismus), sondern auch der Körper, der Objekte ab“. (Paul Virilio) Die medientechnologische Aufbereitung der Körper hat deren Entkörperung und Entnaturalisierung bewirkt, eine machtvolle neue Künstlichkeit im digitalen Sehen und Kommunizieren, die unserer Sinneswahrnehmung zugleich enorme Defizite und Behinderungen bis an die Grenze des Realitätsverlustes in der Psychose bringt. Der neuzeitliche Körperschwund in Wahrnehmung und Denken begann prinzipiell schon mit dem Verzicht auf die mimetisch abbildende Darstellung, der in vielen kunsthistorischen Varianten vorliegt im Dadaismus, Kubismus, abstrakten Expressionismus, in der geometrischen Abstraktion, im Informel und Tachisme, in der Fragmentierung und maschinellen Entfremdung des Körpers bei Picabia oder Warhol bis hin zu den abstrakten Manifestationen von Raum und Zeit in der Minimal und Conceptual Art, in der teilweise computergestützten linguistischen Kunst, einer einseitigen Versprachlichung und Semiologisierung des Visuellen, die von der technologisch-elektronisch inspirierten Simulationsästhetik eines Gary Hill oder Bill Viola fortgeführt wird.

Marcel Duchamp kann als Vorläufer und Initiator einer Werkoriginalität und Autorschaft verabschiedenden Repräsentationsstrategie gesehen werden, der noch ohne elektronische Medien das Sichverflüchtigen oder Verschwinden des Körpers konstatiert. Man denke an Duchamps Readymades, soweit diese nur als „Negativ, als Abwesenheit des Körpers“, als Hülle oder Requisit gegeben werden wie dies in der Serie der „Westen“ von 1956–59 der Fall ist, die „die Aufmerksamkeit auf das lenken, was ihnen fehlt“ und was sie bedecken (Herbert Molderings). Ebenso sind die gipsernen Körperabformungen und Tastobjekte „Not a shoe“, „Feuille de vigne femelle“ (Weibliches Feigenblatt), „Objet dard“ (Wurfspieß Objekt), „Coin de chasteté“ (Keuschheitsecke) Stellvertreter der „abwesenden Körper“ und Objekte, die sich als Abdruck in den Vertiefungen und Ausstülpungen der abgeformten Originale in Erinnerung bringen. Bruce Nauman hat in seinen „negativen“ Körperskulpturen der achtziger Jahre den menschlichen Leib in diminuierter, sich materiell entziehender oder abwesender Gestalt zitiert. In Skulpturen wie „Seven Wax Templets of the Left Half of my Body“ (1987) und „Neontemplets of the Left Half of my Body“ (1966) simulieren Wachsfolien und Neonlicht die Anwesenheit des halb eliminierten realen Körpers durch seine maßstabsgetreue Umhüllung. Die Entkörperung manifestiert sich durch eine minimalistische Konstruktion. In der Installation „Perfect Balance“ von 1989 wird eine die Zunge zeigende Kopfplastik im Wachsabdruck mit dem Monitorbild einer obszönen Handbewegung kombiniert. Das bewegliche Monitorbild trifft auf die Abformung eines Naturgegenstandes in einer anachronistischen, quasi archaischen Technik. Diese Medien-Balance wird von vielen Künstlern, die den leistungsschwachen, antiquierten Menschenkörper elektronisch aufrüsten, verabschiedet und der kompletten Neukonstitution eines Wunsch-Körpers im Computer zugeführt. Orlan überträgt schließlich die computererzeugte Montage kunsthistorischer Schönheitsideale mit Hilfe von kosmetischer Chirurgie und Implantationen auf ihr eigenes Gesicht. Stelarc prophezeit, dass in Zukunft die archaischen mimetischen Körpertechniken durch neue Technologien wie die moderne Prothesen-Technologie ersetzt würden. (Paul Virilio, Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreizten Menschen, München/Wien 1994) Mit der Distanzierung des post-humanen Künstlers von der veralteten mimetischen Darstellungsästhetik wird der zur Möglichkeitsform umgedachte, technologisch neu konstruierbar antizipierte Körper zum Labor elektronischer Manipulationen. In der computererzeugten oder -gestützten, geklonten Kunst der achtziger und neunziger Jahre erweist sich ihr technologischer Fortschritt in unvorhergesehener Weise durch die Abstraktion vom Körperlichen, dem Phänomen des Körperschwundes, bedroht.

II. Zenita Komad lässt in ihrer letzten, in Los Angeles entstandenen Produktion auf eine Konfrontation mit dem Trend zur „post-humanen“ Ästhetik des Körperschwundes und der Leibüberwindung schließen. Sie überrascht mit einer Serie geschneiderter Kleidungsstücke, die im Wesentlichen wie bei Duchamp als evokative Hüllen und negative Formen des geschwundenen, absenten Körpers verstanden werden können. Wie Trophäen sind die aus Leinwandmaterial geschneiderten, farbig bemalten Hemden, Hosen, Jacketts, Kleider, Schürze und Kimono in Überlebensgröße auf Keilrahmen gespannt, mit Zeichen oder Labels garniert und heute meistens auf beschriftete Bildtafeln wie auf Kleiderbügel gehängt. Die so entworfenen Gesamtheiten, das Finden neuer Bedeutungen für eine Ästhetik, der man nicht ständig in den globalen Kommunikationsnetzen und im Lifestyle der urbanen Kultur begegnet, besitzen nicht nur eine irritierende Ausstrahlung, sondern sie distanzieren sich auch von den Wert- und Ordnungssystemen, denen die Publikums-Kunst in der Marktgesellschaft unterworfen ist. Es stellt sich mit der Außenseiterin Zenita Komad die Frage, ob angesichts der zunehmenden Dominanz technischer Bildmedien nicht gerade die traditionellen, für antiquiert gehaltenen Formen der Bricolage, die handwerklichen Konstrukte und Allianzen von Malerei, Skulptur, Collage, Foto und Text es sind, die die technologisierte Kreativität für Zwecke der Subjektivität freisetzen können.

Zenita Komad thematisiert ihre Werke nicht als Readymades, sondern offeriert sie als Bricolages im Zeichen eines ebenso persönlichen (selbstreferentiellen) wie welthaltigen Lebensentwurfs. Sie sperrt sich gegen die ubiquitäre Entwertung der individuellen Handschrift und Handwerklichkeit des Künstlers durch den elektronischen Zeitgeist. In der Aufmerksamkeit für die textilen Hüllen und Negativ-Formen des vertriebenen, mediensoziologisch deklassierten Körpers und durch ihre eigenwillige künstlerische Regeneration hält sie dem technokratisch entzauberten Menschen die Treue. Die Bricolage vertritt – magisch aufgeladen – die kulturell disziplinierten oder neurotisch gehemmten Kräfte und Fähigkeiten der Subjektivität. Die körpernachahmende Ästhetik der Bekleidung, erst recht in ihrer expressiven Stellvertreterfunktion des „geschwundenen“, instrumentell veralteten Körpers bei Komad, begünstigt und reanimiert das aus archaischer Zeit vererbte „mimetische Vermögen“ des Menschen, den „ehemals gewaltigen Zwang, ähnlich zu werden und sich zu verhalten“ (Walter Benjamin). Die gebastelten Kleidwerke werden gleichsam Bühne und Projektionsfläche einer anthropomorphen Lebensauffassung, eines die innere und äußere Wirklichkeit des Menschen analogisierenden Denkens, das in Komads Arbeit „der nabel der welt“ (2007) – zunächst als performative Selbstdarstellung, dann als Installation – demonstriert wird: Das Seil symbolisiert die Nabelschnur zwischen der Natur des Menschen und der Natur des Weltganzen. Der individuelle Mensch als eine Welt im Kleinen (Mikrokosmos) spiegelt gewissermaßen die Elemente und Kräfte des Makrokosmos. Das aus der makrokosmischen Wirklichkeit heraus Wirkende erscheint den Menschen in vielfacher Hinsicht als ähnlich, weshalb sie sich über eine Sache verständigen können. Soll die Welthaltigkeit der Kunst keine Phrase sein und ein menschliches Interesse erwecken, muss der Künstler zur Erkenntnis des Ähnlichen beitragen. Will er neben dem Wissenschaftler die Außenwelt erkunden, muss er zunächst realisiert haben, „daß er selbst ein Bestandteil jener Welt ist, die wir erforschen sollen … und endlich, daß das Problem einer Weltbeschaffenheit ohne Rücksicht auf unseren wahrnehmenden seelischen Apparat eine leere Abstraktion ist, ohne praktisches Interesse.“ (Freud, Die Zukunft einer Illusion)

Die Interdependenz von Mensch und Welt, die das schöne Sinnbild ihrer „Vernabelung“ beschwört, versetzt die künstlerische Produktivität in ein Wechselbad von Introjektion und Projektion. Ein Teil der Außenwelt wird in das Ich hineinverlegt und zum Objekt bewusster und unbewusster Phantasien. Ein Teil der Innenwelt wird vom Ich hinausverlegt. Gedanken, Gefühle, Wunsch- und Angstphantasien des Künstlers gelangen in seine Bild- und Werkproduktion, die als vom vorstellenden Subjekt abgelöste, selbstständige, an sich seiende Objekte erscheinen. Welche Analogien und Korrespondenzen zwischen Ich und Umwelt, zwischen den introjizierten und den projizierten Qualitäten der Erfahrung im Werk Komads lassen sich auffinden? Welche phantasierten Szenarien sind für es charakteristisch? Es erscheint auf den ersten Blick durch die beiden hauptsächlichen Komponenten der Bildträger, das Konzeptionelle und das Dingliche, die intelligiblen und sensiblen Anteile, entzweit und ihrer gegenseitigen Analogisierung entgegenzustehen. Doch obwohl Komad einerseits sich mit ihren reinen Schriftbildern der alles Körperliche und Materielle ausschließenden Abstraktion der Konzeptkunst annähert, sind andererseits die meisten Bildträger Materialisierungen des malerischen und skulpturellen Metiers. Sie streben von der beschrifteten Fläche über dingliche Auswüchse der Leinwand und Reliefs in den dreidimensionalen Raum, der in den „card houses“ (2006) erreicht wird. Vergleicht man sie mit Richard Serras „House of Cards“ (1968 bis 1981), erweist sich alles Minimalistische getilgt. Bei Serra sind Stahlplatten in elementaren geometrischen Formen so aneinander gelehnt und ausbalanciert, dass sie in Anlehnung an die Architektur eine „Skulptur als Platz“ bilden, die der Betrachter betreten kann. Komads Kartenhäuser sind außenseitig teils bemalte, teils beschriftete und skulptierte Leinwand-Wände, die zu einer stabilen Pyramide aus drei Giebeldächern aufgestapelt sind, deren offener Innenraum im Parterre zugänglich und gleichsam performativ bespielbar ist (wie Selbstdarstellungen der Künstlerin zeigen). Komad geht über Serras skulpturelle Neuordnung und Operationalisierung des architektonischen Raums weit hinaus, „dekoriert“ die bei Serra gewissermaßen nackt und leer gebliebenen Wand-Platten – ähnlich wie im Kartenspiel – mit unterschiedlichen Bildseiten. Die einseitig bebilderten Giebel ihrer „card houses“ sprechen die Subjektivität der Betrachter und Bewohner an, konfrontieren sie mit ihrer Befindlichkeit, einer ebenso gefühlsmäßigen wie gedanklichen Dimension ihres Daseins. So wird das objektive Raumgebilde des Hauses erweitert zu einem Ort der spezifischen Begegnung und Auseinandersetzung des Ich mit dem Bild des ihm Ähnlichen. Nicht erst die neuen textilen, skulpturalen, dinglich-dreidimensionalen Bricolages, sondern die Gesamtheit der bisherigen sprachbildlichen Schautafeln fordern den Benutzer zu einer imaginären spiegelbildlichen Identifizierung oder/und Distanzierung („Ich ist ein anderer“, Rimbaud) mit den visualisierten Vorstellungsinhalten und Szenarien auf.

Sieht man sich das Ensemble der „card houses“ genauer an, fällt die Gestaltung vieler Kompartimente in Gegensätzlichkeiten und Gegensatzpaare auf, die – uneins mit der Nötigung unserer affirmativen Kultur, parteiisch zu sein, – die Diskrepanz zwischen dem, was der gewöhnliche Kunstbetrachter weiß und was er nicht weiß, sieht und nicht sieht, zu bedenken geben. Viele Text- und Wort-Konstrukte drücken sich daher zweideutig oder widersprüchlich (kontradiktorisch) aus. Sie sind gespickt mit unvereinbaren Bedeutungen. In „Heaven's gift“ ist die himmlische Gabe mit einem herabstürzenden, von woher immer geworfenen Holzkeil negativ gekennzeichnet. Das ein „Stockwerk“ tiefer platzierte Bildobjekt ist ein Beispiel für das „konspirative“ Korrespondenzverhältnis der meisten Wort-Bild-Montagen: Die rot hineingeschriebene Lebensweisheit „manus manum lavat“ ist mit einem erhabenen Anker und schwarzen Muster aufwärts gerichteter Pfeile auf grellgelbem Feld visualisiert. Die gegenseitige Bestärkung von Text und Form bewirkt beim Betrachter vielleicht eher Abwehr als Beifall. Am „vielleicht“, der inhaltlichen Unbestimmtheit und Offenheit ihrer Konstrukte kann man sich Komads Eigenart gut merken.

Das Transitorische, Provisorische, Mobile der „card houses“ und Bildergalerien, die man heute Installationen nennt, das Austauschen und Umgruppieren ihrer „Bausteine“, ist Programm. Die auf Sentenzen und Aperçus, Inschriften und lateinische Kunstwörter, Künstlernamen (Beckett, Louise Bourgeois, Maria Callas, Galileo Galilei) und kunsthistorische Zitate (wie Ingres' Frauenbildnisse und Rubens' „Leda mit dem Schwan“ nach Michelangelo) zurückgreifenden Konstrukte überzeugen dann am meisten, wenn sie das Gegensätzliche und Unvereinbare in anschaubaren Sinneinheiten zusammenführen. Hierbei lässt sich über ihre „richtige“ Lesart gut streiten und spekulieren. Ein ebenso kontraststarkes wie graphisch gut verdichtetes Wort-Bild-Konglomerat wie „ego – kill your self“ (2005) verdankt seine Spannung einem bekannten ethischen Interessenkonflikt. Gegenüber dem mit Hahnenkamm und Krone zweideutig skizzierten Fratzengesicht, dessen Augen, Brille, Nase, Mund ebenso als verbales „ego“ lesbar sind, also einer Karikatur des Egoismus, kommt sein kategorischer Gegensatz, der altruistische Imparativ zu Wort: töte deine Selbstsucht, mache das Wohl des anderen zum Prinzip deines Handelns und einer allgemeinen Gesetzgebung wie Kant sagt.

Ein weiteres, dreidimensionales Wort-Bild hat Zenita Komad dem Doppelsinn des Wortes „lieben“ gewidmet. Eine beschriftete Leinwand mit dem Ausrufesatz „ICH liebe EUCH“ (2006) wird von einem überdimensionierten Fingerglied-Objekt penetriert, das Rot des Fingernagels wiederholt sich im rot geschriebenen Wort „liebe“, aber die beiden Rots bedeuten nicht das Gleiche. Der Durchstoß des monströsen Fingergliedes, das ein typisches Genitalsymbol ist, trägt wohl dem narzisstischen „objektlosen“ Zustand Rechnung, „daß wir immer in dem anderen uns selber lieben. Wir können es einfach nicht anders.“ (Wilhelm Stekel). Wir treten als Kind „absolut egoistisch“ und kriminell begabt in die Welt und müssen Liebe lebenslang erst lernen. Wir bilden uns nicht ein, die Eigenliebe im Menschen überwunden zu haben, sondern verstricken uns in widersprechende Wertungen. Auch Zenita Komad, die so oft auf ihre Negationen und Phobien das relativierende Wort „lieben“ rüberschreibt, sieht es so.

III. Freud und Stekel haben den prinzipiellen Zwiespalt, die „Bipolarität aller psychischen Phänomene“ eingehend untersucht. Zu jedem Gefühl und Gedanken kann auch das Gegenteil gefühlt und gedacht werden. Wenn „gut begründete Liebe und nicht minder berechtigter Haß, beide auf dieselbe Person gerichtet“ sind, entsteht ein „Ambivalenzkonflikt“. (Freud, Hemmung, Symptom und Angst). Schon der gesunde Menschenverstand fühlt „zwei Seelen in seiner Brust“, die miteinander streiten und um die Vorherrschaft ringen. Entgegengesetzte Gefühle und Vorstellungen treffen zusammen wie im Traum, der sich ja auch die Freiheit nimmt, „ein beliebiges Element durch seinen Wunschgegensatz darzustellen“. (Freud, Die Traumdeutung). Hier knüpft Komad (ohne bewussten Rückgriff auf Freud) mit einem konkreten Beispiel an. In „MIR TRÄUMT ICH BIN DER LIEBE GOTT“ (2004–2008) erhält das Wort „GOTT“ durch die typographische Hervorhebung des Buchstabens O eine doppelte Bedeutung. Das O wird zur fetten Ziffer 0 (=Null) verfremdet und spaltet damit den Satz in zwei entgegengesetzte Lesarten. Graphisch noch prägnanter sind Position und Negation in dem Schriftbild „GOTT IST nicht DAS NICHTS“ (2005, textil erweitert 2007) aufeinander bezogen. Satz und Gegensatz ergeben durch ihre vexierbildartige Wiedergabe in zwei verschiedenen Schrifttypen und Farben, Weiß und Rot, auf blauem Grund, ein doppelwertiges kontradiktorisches Urteil. Es bleibt absichtlich fragwürdig und zweifelhaft, ob der Spruch „Gott ist das Nichts“ oder der Widerspruch „Gott ist nicht das Nichts“ wahr ist, beides ist logisch möglich. Gott und Religion sind „problematische Begriffe“. Mit ihnen kann nur etwas Mögliches gedacht werden. Viel zu wenig bekannt ist die hiezu passende Argumentation Freuds: Religiöse Lehren sind sämtlich Illusionen. „Über den Realitätswert der meisten von ihnen kann man nicht urteilen. So wie sie unbeweisbar sind, sind sie auch unwiderlegbar.“ (Die Zukunft einer Illusion, Freud, Ges. Werke, Bd. XIV, S. 354). Komad verwendet „problematische Urteile“ und Sätze, bei denen die entgegengesetzte Behauptung, das kontradiktorische Gegenteil, auch denkbar ist. Die Erwartung auf ein Entweder-oder wird enttäuscht. Denkgegensätze, aus der Dissenskultur der Religion wie Brosamen aufgepickt, werden in ihrer Frag-würdigkeit, d.h. als ungelöstes Problem, in die konzeptionellen Wort-Bild-Konstrukte vereinnahmt. Der Betrachter soll nicht durch Antworten auf Fragen, die der Vernunft entzogen sind, überfordert und indoktriniert werden. Eine fürwahr „problematische Natur“ wie Zenita Komad kann im Widerstreit von Liebe und Wissen, Glauben und Verstand nicht Partei ergreifen. Eine fürwahrgehaltene Meinung vor den Kopf stoßend heißt es: „WISSEN IST EINE HÖCHST KOMPLIZIERTE SACHE liebe auch“ (2002-2004). „Ich will nicht zu einem bestimmten Glauben bekehren. Ich will eine Vision vermitteln.“ Da taucht wieder das vielversprechende Wort auf, das zuletzt schon die kulturskeptizistischen „raw materialists“ der ars povera umtrieb. Man denkt an Komads Schlüsselwerk „der nabel der welt“. Steht hinter der Analogisierung von Mikro- und Makrokosmos, Ich- und Welterkenntnis, die mystische Utopie, dass in der gesamten Wirklichkeit einst alle Gegensätze verwischt und eins werden? Zumindest rücken Anschauung und Sprache anomal zusammen. Zu ihrer synergetischen Berührungslust gehört, dass die – wie in „grow!“ (2006) verlautbart – ganz aufs Fragen und Aufmachen versessenen Denkbilder Komads ihre Wörter und Wortverbindungen als machtvolle magische Ausdrucksmittel einsetzen. Mit dem in roten Lettern überkreuzt geschriebenen Satz „RELIGION IS DANGEROUS“ (2006) hat Komad ihrer Warnung vor dem Zugeständnis der Absurdität und Vernunftwidrigkeit religiöser Lehrsätze eine suggestive imperative Form zu geben vermocht, der man sonst mehr in der „suggestiven“ Bilderschrift der psychophysischen Bricolages begegnet.

Nun weiß man von Joseph Kosuth, Jannis Kounellis, Lawrence Weiner und anderen, die die Sprache zu ihrem Material gemacht haben, dass durch den Verzicht auf Rhetorik und Reflexion, das Verkürzen und Vereinfachen der Satzbildung, die Reduktion auf einzelne Wörter, diskursives Nachdenken in intuitives, direktes Anschauen umschlagen kann. Davon profitieren auch noch die von der Conceptual Art beeinflussten Schriftbilder Komads, während sie schon dabei ist, Buchstaben und Zeichen, Silben und Zeilen durch typographische Eingriffe und ein beinahe lettristisches Layout für ihre dingliche Präsenz zu präparieren. Wort und Bild kommen magisch zur Deckung. Damit nicht genug, werden in einigen neuen textilen Bricolages die Wörter und Sätze der Schriftbilder von Kleidern und faltigen Stoffen wie durch Überzüge und Gardinen etwas verdeckt und den Blicken des Betrachters entzogen. (“Ode an die Kunst – TE QUIERO“, „(DICTUM) Sapienti SAT (est)“, „SIC“, „MIR“, „GOTT IST nicht DAS NICHTS“, „HOW CAN WE DANCE WHEN the world IS BURNING/BORING“, „sind augen nur zum weinen da?“).

Der Übergang von der wortsprachlichen Repräsentation zur Präsentation des visuellen, dinggebundenen Materials im Raum eröffnet neue, grenzüberschreitende Ausdrucksmöglichkeiten. Die Mystifikation der textilen Bricolages durch ihre teils unleserlichen Textelemente ist nur ein Teilaspekt des gesamten Werks, das seine Konstrukte in das Sichtbare und Verborgene, in Verführung und Abwehr, Attraktion und Repulsion aufspaltet, in das Nebeneinander von offenherziger und verschlossener Zuneigung gliedert wie Komads verschnürtes, vor Besitzergreifung geschütztes Selbstbildnis „present“ von 2004 zeigt. Ihr starkes Mitteilungs- und Schutzbedürfnis, die offensive Öffnung und defensive Unzugänglichkeit des eigenen Befindens in diesem zweideutigen „Geschenk“, sind Ausdruck einer „affektiven Amibvalenz“ (Eugen Bleuler), die sich mehr oder weniger in der Psyche aller Menschen findet und im Kulturvergleich als ein universales Phänomen erscheint. Komad erlöst den bedrohlichen Ambivalenzkonflikt an der Grenze zur Depersonalisation zu einem Schachspiel gegnerischer Mächte und Kräfte, das die mangelnde Harmonie der Gefühlsgegensätze kompensiert. Komad hat ihr künstlerisches Selbstverständnis gelegentlich als Rollenspiel mit Gedanken und Gefühlen erklärt, hinter dem das eigene Ich zurücksteht (eine Parallele zu Cindy Shermans fiktiven Selbstinszenierungen). Ihre Spiele mit der Ambivalenz können daher einerseits nicht als Selbstportraits gelten, sie schließen aber andererseits das performative Selbstbild als Begleitmedium der Rollenspiele ein und setzen die Tradition der Performance-Art fort. Beispiele dafür sind „der nabel der welt“ und „californication“ (2007), der Titel eines Albums der Rock-Band „Red Hot Chili Peppers“, der durch die Verdichtung von „fornication“ (Unzucht), „carnation“ (Fleischfarbe), „incarnation“ (Fleischwerdung) und „California“ einen Einstieg in das unbewusste Denken des Witzes, des Versprechens, des Vergessens von Worten gewährt.

Die meisten Wort-Bild-Objekt-Montagen wären im Sinne Freuds als Brücken, „über welche die Wege zum Unbewußten führen“, zu erklären. Dem abstrahierenden, diskursiven Betrachten bleiben die Ausdrucksformen der Angstbewältigung und psychischen Abwehrmechanismen (Introjektion, Projektion), die im Werk Komads dominieren, unbemerkt oder sie werden vorschnell als Obszönitäten sexualisiert. Wer käme auf den Gedanken, in dem als „selfportrait“ (2008) betitelten anthropomorphen Häuschen, dessen Tor als riesiges Maul mit herausgestreckter Zunge deformiert ist, einen magisch inszenierten Schutz- und Abwehrzauber zu erkennen? Aufgerissener Mund und weit heraushängende Zunge, die man leicht als sexuelle Herausforderung missversteht, kommt in allen Kulturen als Schreck- und Abwehrmaske vor. (Irenäus Eibl-Eibesfeldt/Christa Sütterlin, Im Banne der Angst, Zur Natur- und Kunstgeschichte menschlicher Abwehrsymbolik, München 1992) Die Imponier-und Drohgebärden gehören zur angeborenen Ausstattung des menschlichen Ausdrucksrepertoirs und sind auch zu Komad nicht erst oder gar nicht durch das Studium historischer Wächter-und Schutzfiguren gelangt. Psychologisch können sie als „Angstsignal“, das vom Ich in einer Gefahrensituation verwendet wird, gelesen werden. Als ausdrucksstarker Abwehrvorgang im Konflikt zwischen Ich und Trieb manifestiert sich auch das Konstrukt „god speed your tongue“ (2005). Es verbindet das „Gott geleite Dich“, den bekannten frommen Gruß, mit der erschreckenden Monumental-Skulptur einer blutenden Zunge. In diesem Konstrukt kommen entgegengesetzte Wünsche, ein Grußzauber und ein Schadenszauber, nebeneinander zur Geltung, ohne sich irgendwie zu stören. Die Aufspaltung und Ambivalenz dieses Zeichenzaubers, der einerseits Gutes, andererseits Böses bewirken will, ist aber auch als Machtkampf denkbar, wenn der Schadenszauber als Negation des Grußzaubers und umgekehrt wahrgenommen wird. So kommt eine Dynamik in Gang, die entgegengesetzte Einstellungen, die monomanen Zeichen für eine religiöse und eine erotische Kraft, aufeinander bezieht.

In diesem Konflikt-Szenar gleich starker Mächte und Kräfte überwiegt bei Komad augenscheinlich eine Selbstbehauptungsstrategie, die sich gegen innere und äußere Gefahren für Leib und Leben schützen muss. Die hierfür zuständigen apotropäischen Ausdrucksformen sind Abschreckung, Drohung und Verspottung eines Angreifers und genereller einer schädlichen Triebforderung an das Ich. Ein einfachstes Abwehrmittel ist das Durchixen des Mundes, das am Körper einer Pariser Aktionistin aus dem Muehl-Kreis vorgeführt wird (“clear your mind“, 2004). Ein kleiner Abwehrzauber sind auch die roten NoSex-Kreuze über dem Hosenschlitz einer Textil-Bricolage von 2007 (“n.t.“). Messer, Wurfspieß (“urgent“, 2005, „promethea“, 2005-2007), besänftigende und noch mehr vereinzelte aufgerissene, starrende Augen (“hit the bull's eye“, 2005) oder Augenpaare, deren Pupillen plastisch hervortreten (“painting against bad looks“, 2007, „painting against bad thoughts“, 2006) und das vom geschwärzten Umfeld isolierte, homogene Maskengesicht (“use your brain (Maria Callas)“, 2006), das mehr an eine abgetrennte Kopftrophäe als ein Portrait denken lässt, tauchen im unheimlichen Repertoir der Bann- und Schutzmagie wiederholt auf. Nicht weniger abschreckend und unheimlich erhebt sich ein anderer Kopf in phallischer Steifigkeit aus dem begrünten Erdreich. Bedeckt von einem fliegenpilzförmigen, also giftigen Hut, den wegsehenden Blick himmelnd nach oben gerichtet, den verlängerten, entblößten Hals vom weißen Gitterfenster überschnitten, scheint diese wie in Schutzhaft genommene Madonna eine fremde, unbekannte Gefahr abwehren zu wollen. Eine negative Aura der Angst verdunkelt ihr Medaillon („e pur si muove“ (nach Galileo Galilei), 2003).

In einer bemerkenswerten Paraphrase der von Rubens nach Michelangelo gemalten Mythologie „Leda und der Schwan“, die wohl um 1600 noch in Antwerpen entstanden ist, hat Komad eine teils sich sträubende, teils hingebungsvolle Leda imaginiert. Das in der Vorlage dem Schnabel des Schwans zugeneigte Haupt Ledas wird zu einer fremdartigen Schreckmaske abgewandelt, deren stierer Blick, das spitze aggressive Horn auf der Stirn und der heftig flatternde Haarschopf im Gegensatz zu den einladenden, passiven Gebärden der Hände und Finger – Rubens frei zitierend – gezeichnet sind. Das michelangelo-rubineske Vorbild zeigt eine glückliche, folgenreiche Götterliebschaft zwischen Leda und dem als Schwan getarnten Jupiter, während Zenita Komad die Begegnung als Interaktion von Angriff und Abwehr, letztere allerdings zum ambivalenten Gestus von Verbieten und Zulassen abmildernd, umdeutet (“Leda and the swan“, 2004).

Das drohende, übelabwehrende Maskengesicht mit stechenden Augen und phallischen Hörnern ist aus der antiken Mythologie in Gestalten wie Baubo, Ishtar, Sheela und Gorgo Medusa überliefert. Man findet manche Merkmale dieser frühen Schreck- und Schutzsymbolik bei Komad sogar auf Figuren und Gebrauchsgegenstände des modernen Alltagslebens übertragen. Zu diesen bemerkenswerten zeitgenössischen Amuletten gehört die Handtasche. Ähnlich wie die Card Houses und das symbolische Selbstbildnis der Künstlerin in Gestalt einer Hausfassade, deren Fenster (die Augen) und Tür (der Mund mit Zunge) als „Leibespforten“ (Freud) gelten dürfen, repräsentiert auch die riesige, in halber Körpergröße gefertigte Tasche aus Stepp-Material und ornamentalen Karos (“girl in bag“, 2007) zuallererst einen schützenden, intra-uterinen Raum, keine erogene Zone wie für den Mann, obwohl die phantasierte Rückkehr in den Mutterleib beide Geschlechter gleichermaßen beherrscht. Die Trapezform der Karos ist, wie man aus der Traumdeutung der Psychoanalyse erfährt, ein uraltes Vulva-Symbol. In einer kleineren Version wird die performative Erstfassung der Skulptur mit einer die Tasche vor sich haltenden Frau aufgegeben zugunsten der Bricolage der Tasche mit einer Robe, die das prominente Label Coco Chanels, die verklammerten Anfangsbuchstaben ihres Namens, aufweist. Es sind dies keine Readymades oder Remakes, sondern handgearbeitete, einmalige, auratische Dinge, die zumindest für die Tasche auf eine Wirkungssteigerung der Schutz- und Abwehrmagie der Frauen- und Mutterleibssymbolik hinausläuft. Tasche, Robe du soir und andere zitierte Chanel-Artikel wie der Lippenstift und das Parfum-Flacon No. 5 verhelfen nebenher durch ihre hypertrophierende, idolisierende Präsentation zu einem Schadenzauber gegenüber der gewöhnlichen warenästhetischen Behübschung dieser und anderer beworbener Produkte. Ähnlich erhoffte sich Claes Oldenburg von seinen monumentalisierten, weichen Alltagsgegenständen einen demoralisierenden Einfluss auf den affirmativen Konsumismus seiner Zeit.

Erst kürzlich hat die Künstlerin das Motiv des Abwehrzaubers in ein über drei Meter hohes, textiles Objekt übertragen, das in einem wesentlichen Teilaspekt an die in Irland beheimateten mittelalterlichen „Sheelas“ erinnert, abstoßende, spreizbeinige weibliche Figuren, die ihre grob stilisierte Vulva darbieten. Sie werden als das Pendant zu den Figuren des männlichen „Genitalpräsentierens“ angesehen, ihre frontale genitalbezogene Schaustellung ist von der Ethnographie mit dem Terminus „Schamweisen“ bedacht worden. (Eibl-Eibesfeldt/Sütterlin, 1992). Das „frontale Schamweisen“ wäre ebenso als christlicher Appell an die menschliche Sündhaftigkeit wie als sexuell stimulierende Exhibition missverstanden. Seine hauptsächliche Funktion ist vielmehr das Verspotten und Abschrecken feindseliger Dämonen. Der Dämonenschutz, die Ausdrucksweise des „Schamweisens“ haben als säkularisierte Abwehrreaktion der bedrohten Psyche bis heute überlebt. Die Phobien in Leben und Kunst, die Berührungsangst und das Ekelgefühl vor bestimmten Objekten und Vorkommnissen, geben dem Bedrohungserleben und Schutzbedürfnis Ausdruck. Der Künstler und der Angstneurotiker sind gleichermaßen an der Bewältigung ihrer Angstvorstellungen engagiert. Der Künstler befindet sich durch seine Kreativität im Erfinden von Formen, Symbolen und Bildern im Vorteil. Seine Angst ist weniger resistiv und irrational und wird tendenziell durch ästhetische Sublimierung abgewendet.

Auf diesem Hintergrund behaupten die Apotropäika Zenita Komads, auf die abschließend näher einzugehen ist, ihren künstlerischen Rang. In dem erwähnten textilen Materialbild von 2008 „monster“, das mittlerweile in zwei Versionen vorliegt, wird das abstoßende „Schamweisen“ der irischen Sheelas dem Religiösen entrückt, gleichsam verweltlicht und in seiner Tragfähigkeit für das pornographisch übersättigte, abgestumpfte Auge auf die Probe gestellt. Komad kombiniert ihr dreidimensionales Bildwerk mit völlig heterogenen Elementen. Zuunterst ist das frontale Schamweisen in fragmentarischer Gestalt des Unterleibs einer spreizbeinigen, lebensgroßen Puppe mit aufgeklaffter Vulva platziert, darüber schwebt ein befremdlich erweitertes, lidloses Auge, das durch seine plastisch hervortretende, überproportionale Größe und visuelle Allgegenwart als übergeordnetes Kontroll-Organ erscheint, darüber erhebt sich ein langer phallischer Pfahl, dessen Leitersprossen zusätzlich imponieren und Omnipotenz symbolisieren. Die verschiedenen Elemente ergeben zusammen genommen ein waffenstarrendes, schützendes Totem. Doch scheint die abschreckende aggressive Wendung gegen einen äußeren Angreifer sich auf ein nach innen gerichtetes, selbstdestruktives Angst- und Hemmungsgefühl verschoben zu haben, das uns doppelt befremdlich und deshalb vielleicht künstlerisch zeitgemäßer vorkommt.

IV. Die Ethnologie hat im selten beobachteten Gestus des „Brustweisens“ ein Äquivalent zum Abwehrzauber des „Schamweisens“ festgestellt. Archäologisch überliefert sind aus Holz, Stein oder Keramik gefertigte weibliche Figuren, „die mit ihren Händen ihre Brüste umfassen oder sie präsentierend mit den Händen unterstützen“. (Eibl-Eibesfeldt, Weltsprache Kunst. Zur Natur- und Kunstgeschichte bildlicher Kommunikation, Wien 2007) Obwohl das Anbieten, Halten und Milchspritzen der Brüste gewöhnlich als weiblich-mütterliche Fruchtbarkeitssymbolik interpretiert wird, hat man in vorgeschichtlicher Zeit, später in der Antike Griechenlands und Roms, in den Kirchen der Romanik und Gotik auch brustweisende Figuren, Idole, Votivgaben und Amulette mit abwehrender und schützender Gebärdensprache gefunden. In diesem Fall besteht weder ein Zusammenhang mit dem Thema des Stillens, noch verbindet sich mit dem Darbieten der Brust eine erotische, exhibitionistische Absicht.

Dieser Befund ermutigt, den vermeintlichen Brustfetischismus, die weiblich-mütterlichen und erotischen Anmutungen entsprechender Präsentationen bei Zenita Komad, in einen apotropäischen Sinnzusammenhang zu stellen. Spricht nicht auch das „Brustweisen“ in „californication“, „tainted love“, im oversized Bikini mit Gummibusen (“n. t.“, alle 2007) mehr für einen beschwichtigenden Abwehrzauber gegenüber unerwünschter, anzüglicher Kommunikation? Das rosige Brüste-Ensemble in „californication“, immerhin eine Reminiszenz an die Fruchtbarkeit der Diana von Ephesus, wird mit einer spöttischen Fratze schwarz übermalt. Einerseits schmiegt sich die Performerin wohlig in die weichen Polster ihrer Skulptur, während ihre Arme zu keiner Berührung bereit sind. Hier kommt die für Komad typische Ambivalenz von Zuneigung und Aversion ins Spiel. Und so verfügt auch die komplette Installation über eine gespaltene: verführerische und abschreckende Gebärden- und Zeichensprache, die auch im Tabu-Wort „fornication“ (Unzucht, Hurerei) des vom erwähnten Album ausgeborgten Werktitels „californication“ noch wirksam ist. Der apotropäische Zauber kommt nur gebrochen zur Geltung.

Auch die Relief-Arbeit „tainted love“ (2007) kann nur in einem begrenzten Umfang für den apotropäischen Symbolismus beansprucht werden. Das „Brustweisen“ wird in einer komplexen Zeichen- und Materialsprache chiffriert wiedergegeben. In den geschwärzten buckligen Bildgrund sind zwei rote Herzformen und darunter eine Art Leine oder Halskette milchig-weißer Körbchen, die zur Assoziation laktierender Frauen einladen, hineingemalt. Die positive, lebensbejahende Kraft dieser Zeichen kämpft gewissermaßen gegen die unheimliche, depressive „schwarze Magie“ des Bildgrundes. Freude und Traurigkeit, expansive und bedrückende Gefühle, Liebes- und Todessehnsucht existieren in dieser ambivalenten Konstruktion nebeneinander, von der nur bedingt ein apotropäischer Zauber ausgeht. Demgegenüber imaginiert das Materialbild des roten Bikinis mit Gummibusen, der sofort als Scherzartikel erkennbar ist, einen spottenden, grotesk-komischen Prototyp, dessen Wächter- und Abwehrfunktion in verspielter, verharmloster, verkümmerter Form teils von der Pop Art, teils vom „apotropäischen Signalismus der Touristenkunst“ (Eibl-Eibesfeldt/Sütterlin) aufgenommen wird.

Psychologisch generell gilt, dass sich die psychischen Abwehrvorgänge gegen alles richten, was Angst hervorrufen kann. Uns interessieren allein die künstlerischen Ausdrucksformen, die das Ich zum Schutz gegen äußere und innere Bedrohungen erfindet und welche die angstbesetzten Objekte und Vorkommnisse sind, die Frage der Phobien und ihrer sublimierten ästhetischen Gestaltung. Unter der Vielzahl an Dingen und Vorgängen, die zum Gegenstand einer Phobie werden können und die im besonderen Zenita Komad einer künstlerischen Bearbeitung unterzogen hat, gehört der Ekel vor der Berührung von etwas Schmutzigem oder Ansteckendem. Diesem Délire du toucher, der „Mysophobie“ verdankt einer ihrer skurrilsten Einfälle sein Dasein: die mit einer glänzenden Folie verpackte Türklinke „melancolic door buckle“ (2008).

In einem größeren Werkzyklus der sogenannten „Wurzelskulpturen“ hat Komad ihrer angstvollen Faszination vor dem Anblick ekelhafter Dinge von wurzeliger, schlüpfriger, feucht-glitschiger, irgendwie unangenehmer, unheimlicher Beschaffenheit Ausdruck gegeben. Die unter dem Titel „roots“ (2006) vereinigten, ungegenständlichen plastischen Formen entwachsen der ringsum straff gespannten Leinwandhaut und greifen mit schleimig glänzenden Tentakeln über die Ränder der rechteckigen Bildformate hinaus ins Leere. Dieses missgebildete organische Geschlinge oder Gewächs von unbekannter Herkunft ist jeweils einfarbig grün, blau, rot, weiß oder/und schwarz wiedergegeben, was der Ekelempfindung unterschiedliche Assoziationen ermöglicht, sei es in Richtung mehr einer Tier- oder mehr einer Pflanzenfurcht. Egal, ob dem Verängstigten ein nach ihm greifender Polyp, ein Mangroven-Dschungel, eine giftige Wurzel einfallen, jedes denkbare Geschlinge oder Gewächs (hinter letzterem kann die Angst vor Krebs, die Karzinophobie verborgen sein), beeindruckt wegen seines Ekel und Angst hervorrufenden Anblicks. Deshalb führt ein rückwärtsgewandter Titel wie „back to the roots“ (2006) in die Irre. Das Thema ist nicht die Rückkehr zu einem romantischen Naturerleben, sondern die Einkehr ins Ich, das mit der Angst vor dem scheußlichen Getier oder Gewächs, das es selbst imaginiert, auch die Angst vor sich selbst darstellt und künstlerisch bewältigt. Die Abwehrreaktion des Ich artikuliert sich am Paradigma der „Wurzelskulpturen“ Komads im Abscheu und zugleich ästhetischen Fasziniertsein vor der Zudringlichkeit des Organischen und überhaupt der merkwürdigen Kühle und Kaltherzigkeit „dieser ruhelosen, nervösen, sich windenden, zuckenden Vitalität, als wäre das alles ein abstrakter, irgendwie demonstrativer ‘Lebenstanz’, ohne angemessene Lebenswärme, ohne inneren Gehalt des Lebens“. (Aurel Kolnai, Der Ekel, 1929, in „Ekel Hochmut Haß“, Frankfurt a.M. 2007) Dabei sind Lebensekel und Lebensangst „gleichsam erst die Einladung, welche die Abschreckung aktualisiert“. Diese käme, wie Kolnai in seiner Phänomenologie feindlicher Gefühle feststellt, nicht zustande, wäre das phobische Subjekt nicht zunächst vom Ekelhaften angezogen worden. Das Ekelhafte löst also eine ambivalente Reaktion aus. „Sie ist Einladung und Abschreckung, Lockung und Drohung zugleich“, eine „im Ekelhaften liegende ‘Koketterie’“.

Die Koketterie, assistiert von der Ambivalenz der Gefühle, ist auch der Universalschlüssel für eine künstlerische Strategie, die im Zugleich von Verführung und Abwehr, Anziehung und Zurückweisung, die notwendige Problematik und Fragwürdigkeit ihrer Werke bewahrt und ihre Bewunderer nolens volens anlockt und in Schach hält.